Friday, August 05, 2005

Kalkwerk|Limeworks

Erst fuer halb zwoelf Uhr mit Reger im Kunsthistorischen Museum verabredet, war ich schon um half elf Uhr dort, um ihn, wie ich mir schon laengere Zeit vorgenommen hatte, einmal von moeglichst idealen Winkel aus ungestoert beobachten zu koennen, schreibt Atzenbacher. Da er im sogenannten Bordone-Saal gegenueber Tintorettos Weissbaertigen Mann seinen Vormittagsplatz hat, auf der samtbezogenen Sitzbank, auf welcher er mir gestern nach dem Erlaeutern der sogenannten Sturmsonate seinen Vortrag ueber die Kunst der Fuge fortgesetzt hat, von vor Bach bis nach Schumann, wie er es bezeichnet und dabei doch nur immer mehr von Mozart und nicht von Bach zu sprechen in Laune gewesen war, musste ich im sogenannten Sebastiano-Saal Aufstellung nehmen; ich musste also ganz gegen meinen Geschmack, Tizian in Kauf nehmen, um Reger vor dem Weissbaertigen Mann von Tintoretto beobachten zu koennen und zwar stehend, was kein Nachteil war, denn ich stehe lieber, als dass ich sitze, vor allem in der Menschenbeobachtung und ich beobachte zeitlebens immer stehend besser, als sitzend, und da ich ja aus dem Sebastiano-Saal hinaus- in den Bordone-Saal hineinschauend schliesslich unter Anwendung der aeussersten Sehschaerfe tatsaechlich die ganze, nicht einmal durch die Sitzbankruecklehne beeintraechtigte Seitenansicht Regers, der gestern ohne Zweifel durch den in der vorausgegangenen Nacht eingetretenen Wettersturz arg in Mitleidenschaft gezogen, die ganze Zeit seinen schwarzen Hut auf dem Kopf behalten hat, sehen konnte, also die ganze mir zugewandte linke Seite Regers, war mein Vorhaben, Reger einmal ungestoert in Augenschein zu nehmen, geglueckt.
Th. Bernhard, Alte Meister

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